Die erste Schachmaschine der Welt war eine wie ein Türke gekleidete Puppe, die ein Hofrat namens Wolfgang von Kempelen im Jahre 1769 für Österreichs Kaiserin
Maria Theresia gebaut hatte.
Der Türke saß hinter einem Kasten, dessen Wände vor jeder Partie geöffnet wurden. Zu sehen war eine Vielzahl von Rädern, Stangen, Walzen und Hebeln.
Dieser Schachautomat reiste jahrelang durch Europa und spielte auch gegen Frankreichs Napoleon und Rußlands späteren Zaren Paul I.
Später verbrannte der Türke in einem amerikanischen Museum. Sein Geheimnis wurde nicht durch Augenschein, sondern von dem Krimi-Autor Edgar Allan Poe durch
Scharfsinn enthüllt: Im Inneren des Kastens hatte ein kleinwüchsiger Schachmeister gesessen und statt des Pseudo-Roboters die Partien gespielt.
Kempelens Türke bereicherte den deutschen Wortschatz um eine Redensart. "Einen Türken bauen" steht -- so Lutz Röhrichs einschlägiges Lexikon -- unter anderem für
"etwas vorspiegeln, vortäuschen, etwas so stellen, als ob es echt wäre".
In diesem Jahr ist die Redensart auf eben jenem Gebiet, dem sie ihren Ursprung verdankt, aktueller denn je. Mit vielen Tricks und einigem Trug wird im Geschäft
mit den modernen Schachmaschinen gearbeitet, die binnen kurzem zum bundesdeutschen Verkaufshit, insbesondere im Weihnachtsgeschäft geworden sind.
1978 wurden die ersten Schachcomputer in die Bundesrepublik importiert, es waren nur wenige tausend. 1979 schnellte die Verkaufszahl auf 90 000 Geräte hoch, und
1980 werden es wieder etwa so viele sein.
Die schachspielenden Rechner machen in den Horten-Kaufhäusern derzeit 18 Prozent des Spielwarenumsatzes aus, schätzt Hans Gabler, Chefeinkäufer des Konzerns --
mehr als Legosteine und Autobahnen (je fünf Prozent) und als elektrische Eisenbahnen (drei Prozent). Und "die Tendenz ist immer noch steigend".
Um Anteile an diesem Geschäft wird härter gekämpft als im Vorjahr. Dem Beispiel des Horten-Konzerns, der schon seit Oktober 1979 in mittlerweile 30 seiner 57
Kaufhäuser Schachstände eingerichtet hat und dort potentielle Kunden Partien gegen die Rechner spielen läßt, sind in diesem Jahr Karstadt und andere Konkurrenten gefolgt. Und auch die
Versandgeschäfte haben weit mehr Schachcomputer geordert als 1979.
Den Trend versuchen auch Verlage zu nutzen, die in den letzten Monaten vier Bücher über Schachcomputer herausbrachten, und ein Dutzend Tester ist bemüht, sich
neben- oder sogar hauptberuflich zu etablieren.
Wie im vorigen, so ist auch in diesem Jahr eine neue Geräte-Generation auf den Markt geschwappt. Lediglich zwei von elf Computern, die derzeit für Preise
zwischen 169 und knapp tausend Mark angeboten werden, gab es schon 1979.
Neben Importen aus Hongkong und den USA ist seit Anfang September der erste deutsche Schachcomputer "Mephisto" dabei. Er wird von der Münchner Firma "Hegener +
Glaser" produziert, deren Hauptgeschäft es ist, Elektronik-Bauteile aus den USA, Japan und England für deutsche Großfirmen zu importieren. Bis Weihnachten läßt das Münchner Unternehmen 6000
Geräte aus jeweils 134 Einzelteilen per Lohnauftrag vor allem im Allgäu montieren. Es könnte die dreifache Zahl absetzen, so viele Bestellungen liegen vor.
Neu wie die meisten Namen sind auch etliche Eigenschaften. Bei einigen Geräten brauchen die Züge nicht mehr mit Tasten eingetippt und auf oft nur klitzekleinen
Sichtfenstern -- sogenannten "Displays" -- abgelesen zu werden. Die Schachbretter dieser Computer sind mit Sensoren ausgestattet; da genügt es, die Figuren fest auf die Felder zu drücken, auf
denen sie sich bewegen sollen.
Andere Computer sind auf schnellen Fortschritt eingerichtet, ihre Schachprogramme können wie Kassetten ("Module") ausgewechselt werden. Wer ein besseres Programm
wünscht, als er besitzt, braucht nur noch 200 bis 300 Mark für ein Modul auszugeben und nicht die doppelte oder dreifache Menge für ein neues Gerät. Mit entsprechenden Modulen kann aus einem
Schach- und ein Dame- oder "17-und4"-Computer werden.
Bei einigen 1980er Schachrechnern braucht niemand mehr den Partien nachzutrauern, die er nur wegen eines einzigen dummen Zuges verliert. Unterläuft solch Patzer,
so kann der Zug mitsamt dem Gegenzug des Computers mit einem doppelten Tastendruck rückgängig gemacht werden. Die Partie kann sogar um zwei oder drei Züge zurückgetippt werden. Der Computer
fungiert dann als Ketzer wider das Dogma "Berührt, geführt".
Viel Schach-Zauber bietet ein Gerät "Intelligent Chess", das mit einem Kassettenrecorder ausgestattet und überdies ans Fernsehen anzuschließen ist. Da kann jede
Partie gespeichert und beliebig oft auf dem Bildschirm oder auf dem Brett durchgespielt werden, dank zweier Tasten "Vor" und "Zurück" vom ersten bis zu jedem späteren Zug und umgekehrt. Das
gilt für die eigenen Partien wie für Glanzstücke von Welt- und Großmeistern. Eine Kassette mit allen 750 Partien, die das Schachgenie Bobby Fischer spielte, ist für 14 Mark angekündigt.
Andere Kassetten werden mit Schachlehrgängen bespielt werden.
Und der Druck auf eine einzige Taste genügt, um diesen Computer unablässig gegen sich selbst spielen zu lassen -- stundenlang, tagelang. Hat er eine Partie
beendet, beginnt er sogleich die nächste. Sein Besitzer wird, läßt er dieses Perpetuum mobile auf seinem Bildschirm spielen, vom Spieler zum Betrachter: Schach als viertes
Fernsehen.
Aber wie jeder andere Computer ist auch dieser nicht frei von Schwächen. Er spielt nicht sonderlich gut, und es fehlen einige nützliche Eigenschaften, die andere
Rechner seiner Preisklasse besitzen.
Wie "Mephisto" ist auch "Intelligent Chess" das Produkt einer Firma, die erst in diesem Jahr mit einem Schachcomputer herauskam. Die Londoner Firma "Intelligent
Games" läßt ihr Gerät in Hongkong bauen.
Der Münchner und der Londoner Produzent sind neue Konkurrenten für die drei Firmen, die bislang weltweit diesen Markt beherrschten. Es sind
* die Hongkonger Firma "Novag Industries" des Deutschen Peter Auge mit den Geräten "Super System III", "Partner 2000" und "Pocket Chess", allesamt aus einer
"Chess Champion"-Reihe,
* die Firma "Fidelity Electronics" in Florida mit den vier "Challenger"-Computern "Sensory Voice", "Voice", "Sensory 8" und "Super 7" sowie
* die texanische Firma "Applied Concepts" mit den Rechnern "Boris Diplomat" und "Boris 2.5".
"Boris 2.5" hieß bis Anfang August noch "Sargon 2.5". Die Hersteller wollen mit diesem Wechsel dem Gerät den gleichen Namen geben wie ihren anderen, wecken damit
in der Bundesrepublik aber die Erinnerung an das unrühmliche Ende des vorigen "Boris": Er war gegen Ende 1979 veraltet und nur noch halb soviel wert, wie er kostete. Dieses Ergebnis eines
SPIEGEL-Tests führte laut Importeur Rainer Bäurle, Chef der Münchner "Sandy Electronic", dazu, "daß diese Geräte auf dem Markt nicht mehr beziehungsweise nur noch sehr schlecht absetzbar"
waren.
Die beiden US-Firmen liefern auch je einen Luxus-Computer. Aber nur das Äußere macht sie teuer, sie spielen nicht besser als andere. Der "Challenger Grand
Master" (1500 Mark) hat das Programm des um ein Drittel billigeren "Sensory Voice", und der "ARB"-Computer der "Boris"-Produzenten kostet zwar 2500 Mark, spielt aber auf seinem elektronischen
Brett auch nur so gut wie "Boris 2.5" für tausend Mark.
Groß sind die Unterschiede im Aufwand, mit dem für die Geräte in der Bundesrepublik geworben wird. "Mephisto"-Produzent Manfred Hegener ließ bislang nur ein
einziges Blatt mit Lobsprüchen drucken und gab auch für Anzeigen nur wenige tausend Mark aus.
Die Münchner Firma "MI Service" hingegen, die neben den vier Schachrechnern der "Fidelity" auch noch deren Dame-, Backgammon- und Bridge-Computer vertreibt,
engagierte den Fernsehprofessor Heinz Haber als Werbetexter für einen Videofilm und für einen aufwendigen Prospekt. Überdies ist für "MI" eine halbe Hundertschaft von "Propagandisten"
unterwegs, die Marketingmanager Peter-Ingolf Gericke teils gegen feste Bezüge, teils auf Provisionsbasis anheuerte. Sie ziehen mit mobilen Verkaufstresen vor allem durch Karstadt- und
Hertie-Kaufhäuser.
Die Einkäufer aller Kaufhaus-Konzerne haben sich zwar um ein relativ breites Sortiment bemüht, zugleich aber Schwerpunkte gesetzt. Bei Karstadt und Hertie sind
es die "Challenger"-Computer, bei Horten die Hongkong"Champions", beim Kaufhof ist es der englisch-chinesische "Intelligent Chess".
Darüber, was die 1980er Computer gemeinsam haben und worin sie sich unterscheiden, erfahren die potentiellen Käufer wenig. Sie haben es schon schwer, sich anhand
der Werbesprüche ein halbwegs realistisches Bild zu machen, was der jeweilige Computer leistet. Denn sogar noch in den Gebrauchsanweisungen werden die Vorzüge in einem solchen Maße gepriesen,
daß es nicht selten einer Irreführung gleichkommt.
Selbst für die beiden billigsten und schwächsten Geräte wird geworben, als handele es sich um die besten. Dem "Pocket Chess" wird eine "Programmstärke"
zugeschrieben, die angeblich "auch den erfahrenen Spieler überzeugt". Und der "Boris Diplomat 80" ist gar geschaffen, "um der perfekte Schachpartner zu sein", er ist "programmiert für ca. 1
000 000 000 000 Zugmöglichkeiten". Ebensogut hätte man eine Zahl mit weiteren Nullen aus der Luft greifen können.
Die beiden Geräte, die es schon im Vorjahr gab ("Super System III" und "Voice") tragen die alten Namen, bringen aber angeblich höhere Leistungen. Wahr ist es
nicht. Beim "Super System III" macht es keinen Unterschied, ob man mit dem angeblich neuen oder mit dem alten spielt, die Partien sind über weite Passagen völlig identisch. Nicht mal die
Hauptschwäche dieses Geräts ist beseitigt. Es besitzt zwar einen Zufallsgenerator, der bei anderen Geräten von mehreren gleichwertigen Zügen sozusagen einen auslost und so für Abwechslung
sorgt, hier ist er aber fast ohne Wirkung.
Der angeblich neue "Voice" unterscheidet sich vom alten allenfalls dadurch, daß er seine Partner in schwierigen Situationen nicht mehr halbe, sondern nur noch
Viertelstunden auf einen Zug warten läßt.
Bei einem anderen Gerät, dem "Challenger 7", wurde ein "Super" in den alten Namen eingefügt, aber das war nur ein Werbegag; 7 blieb gleich 7.
Von jedem der beiden Tausend-Mark-Computer "Boris 2.5" und "Sensory Voice" wird in Inseraten behauptet, daß er der spielstärkste von allen sei. In der Schweiz
annoncierten die "Boris"-Händler ihre Bereitschaft, die Geräte zurückzunehmen und den Kaufpreis zu erstatten, wenn es einen besser spielenden Computer gebe.
"Boris"-Importeur Bäurle und "Sensory Voice"-Importeur Gericke zogen sogar vor das Münchner Landgericht, wo der eine wie der andere erreichen will, daß dem
Konkurrenten die Werbeslogans verboten werden, mit denen er selbst fast wortgleich arbeitet. Aber bislang konnten sich die Richter nicht definitiv entscheiden. Bäurle: "Leider konnten wir im
Gerichtssaal kein Testturnier ausrichten."
Gericke nahm für seinen "Sensory Voice" überdies Weltmeister-Ehren in Anspruch. Er berief sich dabei auf ein Turnier, das Anfang September in London stattfand
und bei dem tatsächlich ein Weltmeister-Titel vergeben wurde. Doch nahezu alles, was der quirlige Manager in dieser Hinsicht behauptete, ist getürkt.
Nach dem Turnier in London hatte Gericke in einem Rundbrief an alle Händler auf das nächste Turnier in Linz verwiesen, zu dem Groß- und Kleincomputer geladen
waren: "Aufgrund der gezeigten starken Leistung in London darf man annehmen, daß der knapp tausend Mark teure Kaufhausartikel einige der ''Millionengroßrechner'' schlagen wird."
In London hatte gar kein Tausend-Mark-Computer gespielt. "Challenger" war mit einem Programm angetreten, das nicht serienmäßig hergestellt wird. Es war lediglich
in ein "Sensory Voice"-Gehäuse gesteckt worden.
Es wurde auch keine "starke Leistung" gezeigt, noch viel weniger kann von einem "überlegenen Sieg" die Rede sein, wie Gericke später behauptete. In drei von fünf
Partien hatte das "Challenger"-Programm auf Verlust gestanden und sie schließlich nur gewonnen, weil die Gegner noch schlechter spielten.
Und falsch war auch Gerickes Prognose für das Turnier in Linz. Dort belegte der sogenannte Weltmeister mit einem einzigen Remis und lauter Niederlagen den
letzten Platz.
Gericke führt dies auf einen "technischen Defekt" zurück, doch Turnierleiter und Schiedsrichter David Levy hat davon nichts gemerkt.
Als Bäurle der "MI"-Konkurrenz mit einer einstweiligen Verfügung verbieten ließ, den "Sensory Voice" zum Londoner Turniersieger und zum Weltmeister zu erklären,
schob Gericke ein anderes Argument nach. Wiederum in einem Händler-Rundschreiben behauptete er, die Programme des Kaufhauscomputers und des Weltmeisters seine sich so ähnlich, daß es gar
nicht lohne, das in London siegreiche Programm serienmäßig herzustellen.
Vermutlich an der Grenze zwischen lauterem und unlauterem Wettbewerb bewegt sich Gericke mit Anzeigen, die seine Firma gemeinsam mit Kaufhäusern
aufgibt.
Dort wird ein Lorbeerkranz mit dem Text "Weltmeister 1980 -- ungeschlagen und ohne Punktverlust" gezeigt. Korrekt wird zwar mitgeteilt, daß die
"Schachcomputermarke", also kein einzelner Computer diesen Titel erhielt. Aber das ist klein gedruckt, und deutlich sichtbar ist der Lorbeerkranz nebst Weltmeister-Spruch über dem "Sensory
Voice" placiert: Türkischer Lorbeer.
Gericke nimmt es auch nicht sehr genau, wenn er die Eigenschaften dieses Computers in seinem Glanzprospekt rühmt. Dort schreibt er ihm einige zu, von denen weder
in der ausführlicheren amerikanischen noch in der deutschen Gebrauchsanweisung die Rede ist.
Trügerisch ist die Hoffnung der Schachfans, sie könnten von kundigen Autoren einschlägiger Bücher oder von neutralen Testern erfahren, was sie von den Geräten zu
halten haben.
Mögen die Bücher partiell lesenswert sein, etwa wenn Partien kommentiert oder über die Schachgeschichte geplaudert wird -- als Ratgeber beim Computerkauf sind
sie allesamt ungeeignet. Die Bücher, die gegen Türken helfen könnten, sind in dieser Hinsicht selbst getürkt.
"Die Testergebnisse der neuesten Modelle" verheißt ein knallgelber Aufkleber auf dem Buch "Schach dem Computer", das im Mosaik-Verlag der Bertelsmann-Buchfabrik
herauskam. Doch von den elf 1980er Computern wurden nur fünf getestet, die Daten eines sechsten wurden aus Prospekten abgeschrieben.
Aber die Testberichte waren nicht nur veraltet, als das Buch in die Läden kam. Sie lesen sich über weite Strecken nicht viel anders als die Texte der Hersteller
und Händler. Einigen von ihnen hatte der Verlag die Testberichte geschickt, bevor sie gedruckt wurden, und die Änderungswünsche des "Boris"-Importeurs Bäurle auch ausgeführt. Bäurle: "Ganz
geringfügige Dinge."
Allzu alt und allzu unkritisch sind auch die Testberichte in dem Buch "Heim-Schachcomputer" des Münchners Björn Schwarz, der sich überdies mit fremden Federn
schmückte und etliche Seiten und Tabellen aus einem anderen Buch abschrieb, ohne diese Quelle auch nur zu erwähnen. Schwarz empfiehlt einen "MK I" als "Lernhilfe", der selbst die Schachregeln
nicht beherrscht und auch ohne König weiterspielt. Der letzte "MK I" wurde allerdings bereits Ende 1979 verkauft.
Um diese Zeit war schon Redaktionsschluß für das Buch "Computerschach" von Pachman/Kühnmund. Es berichtet lediglich über die Tests dreier Computer, von denen es
längst keinen mehr gibt.
Der Autor des bei Econ erschienenen "Ratgeber"-Buches "Spielen mit dem Schachcomputer", Hans Carl Opfermann, versteht so wenig von Computern, daß es schon wieder
lustig ist, dieses Werk zu lesen. Und über Schach verbreitet Opfermann, dem laut Vorwort sein Verleger, sein Schwiegersohn und weitere sieben Helfer zur Hand gingen, tiefgründige Erkenntnisse
in so gestelztem Stil, daß sich mit dem Verlesen von Zitaten die Stimmung bei Schachklub-Abenden erheblich aufbessern ließe. Probe:
"Auf dieser Felderanordnung --Schachbrett genannt -- finden Bewegungen statt, die stets bei einem bestimmbaren Feld beginnen und auf einem anderen Feld
enden."
Gründlicher als die Buchautoren haben sich zwei andere Tester mit den Computern befaßt. Der Hamburger Architekt Gerhard Piel verbrachte tausend Stunden damit, im
Keller seines Hauses Computer gegen Computer spielen zu lassen. Und der Münchner Ossi Weiner, Ex-Architekt und "Schachpädagoge von Beruf", bemißt die Zeit, die er und seine Mitarbeiter für
ihren Test brauchten, auf 700 Stunden.
Piel und Weiner kamen zu konträren Ergebnissen. Für den Hamburger ist "Boris 2.5", für den Münchner ist "Sensory Voice" der beste. Das eine Ergebnis ist soviel
wert wie das andere: fast nichts.
Die Computer ausschließlich nach ihrer Spielstärke zu beurteilen, noch dazu nach Partien, die allesamt mit derselben Rechenzeit gegen andere Computer gespielt
wurden, ist etwa so absurd, als würden Autotester sich damit begnügen, Pferdestärken zu messen.
Weiners Test besteht aus sinnvollen Aufgaben, mit denen die Fähigkeiten der Rechner in verschiedenen Situationen geprüft werden, und einem anfechtbaren (weil
subjektiven) System, nach dem Ausstattung und Bedienungskomfort beurteilt werden.
Aber auch wenn man Weiners Test akzeptieren würde, müßte man sein Ergebnis verwerfen. Denn es unterliefen ihm einige Fehler, sonst hätte es nicht einen Sieger,
sondern drei gegeben: "Sensory Voice", "Boris 2.5" und "Mephisto".
Solche sportähnlichen Ergebnisse helfen potentiellen Käufern nicht weiter. Manchem Gelegenheitsspieler ist mit einem nicht sonderlich spielstarken Gerät, das
zügig zieht und leicht zu bedienen ist, mehr gedient als mit einem Computer, der andere Vorzüge hat.
Piel und Weiner entwerten ihre Tests überdies dadurch, daß sie mit den Importeuren ihrer Sieger-Computer enger zusammenarbeiten, als es dem Ruf neutraler Tester
zuträglich ist. Insbesondere schreiben sie in die Gutachten, mit denen jeder eine Partei im Rechtsstreit um die beiden Tausend-Mark-Computer bedient, mehr hinein, als sie verantworten
könnten, wenn sie völlig unparteiisch wären.
In einem eigenen Test prüfte der SPIEGEL die Eigenschaften der elf 1980er Computer. Die Spielstärke wurde nicht nur in einem Computer-Turnier, sondern auch in
Partien mit ganz verschiedenen Rechenzeiten sowie in Probespielen gegen Klub- und Heimspieler getestet. Und überdies wurden die Eigenschaften verglichen, die insbesondere für
Durchschnittsspieler von Belang sind.
Während beim vorjährigen SPIEGEL-Test einige Computer deutlich hinter den anderen zurückblieben, genügten diesmal alle den Mindestansprüchen. Sie lassen keine
Züge zu, die gegen Schachregeln verstoßen, können mit Schwarz wie mit Weiß spielen, kennen (bis auf einen) die Sonderregeln insbesondere für die Rochade und lassen sich auf verschiedene
Spielstärken einstellen.
Angeblich ist den Geräten auch eine "Eröffnungsbibliothek" einprogrammiert. Dann wären die wichtigsten Anfangszüge gespeichert und würden sozusagen aus dem
Gedächtnis gespielt. Doch die meisten Computer beginnen schon nach zwei bis drei Zügen zu rechnen, und einige haben offenbar überhaupt keine Eröffnungen gespeichert: Türkische
Lücke.
In der Spielstärke ist "Boris 2.5" allen anderen Geräten überlegen, und als einziger erreicht er sogar das Niveau von Klubspielern. Deren Spielstärke wird
aufgrund von Turniererfolgen in sogenannten Elo-Punkten berechnet, und dieser Computer besitzt tatsächlich die Elo-Zahl, die ihm seine Produzenten zuschreiben. Das zeigten Partien zwischen
dem Computer (1640 Elo-Punkte) und der Hamburger Spitzenspielerin und Pädagogikstudentin Astrid von Holten (1645 Elo-Punkte). Die Dame und die Maschine gewannen je eine Partie.
Der "Sensory Voice", von seinen Händlern mit Weltmeister-Aura umgeben, spielte nicht besser als die meisten anderen, und der deutsche "Mephisto" ist in dieser
Hinsicht dem doppelt so teuren Amerikaner sogar überlegen.
Einige Computer sind mit Extras ausgestattet, die kein anderer besitzt. Das gilt insbesondere für die Kombination von Schachprogramm, Recorder und
Fernsehanschluß beim "Intelligent Chess", aber zum Beispiel auch für 64 Weltmeister-Partien, die "Sensory Voice" gespeichert hat. Zweimal kann jeweils versucht werden, den nächsten Meisterzug
zu erraten. Dann zeigt der Computer ihn durch Lämpchen an, die er auf zwei Feldern aufleuchten läßt.
Kein einziger Computer ist schon frei von den chronischen Schwächen aller Schachrechner. Sie sind scharfäugig und finden durchweg den besten nächsten Zug, aber
sie sind zugleich kurzsichtig und können so gut wie nie Folgen von vier, fünf Zügen berechnen, wie plausibel sie auch sein mögen. Das gelingt ihnen nur, wenn ihnen dafür viele Stunden oder
sogar einige Tage Zeit zugestanden werden.
Selbst die spielstärkeren Computer werden nicht selten ratlos, wenn sie weder angreifen können noch sich verteidigen müssen. Dann ziehen sie Türme hin und her
oder rücken die Randbauern vor.
Solche Schwächen im Rechenhirn sollen, dies scheint ein neuer Trend zu werden, durch äußere Fertigkeiten überdeckt werden. Der erste Star des nächsten Jahres zum
Beispiel wird "Boris Hand Roid", ein Roboter, sein.
Die Ankündigung: "Er hebt die Figuren mit seinem servogesteuerten Arm an und setzt sie behutsam ab." Für diesen Schachgreifer werden 3600 Mark
verlangt.
Die Zeitschrift "Chip" ("Elektronik in Hobby und Beruf") rät in ihrem Dezemberheft, sich einen Schachroboter mit Greifarm selbst zu bauen. "Chip": "Werden Sie
Robotiker." Die Kunstfinger werden von einem Portalkran aus bewegt, der "als Ganzes auf einer Schiene entlangfährt, die an der dem Spieler gegenüberliegenden Seite des Schachbrettes
liegt".
Notwendig ist allerdings dafür neben dem Schachcomputer ein zweiter Computer. Denn gesteuert wird der Roboter, wie jeder fachkundige "Chip"-Leser wohl verstehen
wird, "mit 4 bit aus dem User-Port des AIM 65".
Und erreicht wird dann das, was ohne Greifer anscheinend fehlt: "das richtige Spielgefühl".